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Das Harmonium in Neerstedt

Das Harmonium in Neerstedt...


Das Harmonium in Neerstedt

Erzählung von Harald Robbe



zum Jubiläum 150 Jahre Kapelle Neerstedt
 am 19.-21. Juni 2009

 


 ... und die Geschichte von der
methodistischen Kirchenmaus

Die Kirchenmaus auf dem Harmonium


Ein Lesevergnügen


Mit einem Dank an die Harmoniumspieler

Wilhelm Martens, Iris Ben Ammou und Harald Robbe

von allen, die dazu gern singen oder still zuhören.





Das Harmonium in Neerstedt


Im Jahre 1790 hat ein russischer Orgelbauer das Harmonium erfunden. Dabei kam eine Technik zur Anwendung, die aus Asien stammt: dem Tonerzeugungsprinzip der frei schwingenden Zunge. In Europa und Amerika trat das Harmonium seinen Siegeszug an und in vielen Haushalten, in denen Hausmusik geschätzt wurde, wurde ein solches Instrument angeschafft. Wenn man es mit der heutigen Entwicklung vergleicht, dann war das Harmonium eine Art „Synthesizers“ des 20. Jahrhunderts. In christlichen Kreisen z.B. in Hausbibelkreisen, freikirchlichen Gemeinden und in kleineren Kapellen wurde es gerne eingesetzt, denn es war im Vergleich zur Orgel ungewöhnlich preisgünstig. Ein Harmonium musste auch nicht besonders gewartet oder gestimmt werden, denn es war ungewöhnlich robust. Auch gegen Temperaturschwankungen. Man konnte sich in jedem Gottesdienst darauf verlassen, dass es fast immer funktionieren würde.

 
Im Laufe der Zeit hatte das Harmonium viel Spott zu ertagen, denn es eignete sich nicht für jede Art von Musik. So erhielt es zahlreiche Spottnamen: Psalmenquetsche, Hallelujapumpe, Hallelujavergaser, Psalmenkompressor oder Prärieorgel gehörten noch zu den liebevollen Bezeichnungen. Es wäre aber interessant festzustellen, was die Ursache für die Bezeichnung Heuchlerkommode war.
 
Wilhelm Martens - langjähriger "Kantor" der Kapelle
Wilhelm Martens - langjähriger "Kantor" der Kapelle
Foto: 17. Juni 2007


Weil es für den Vorstand der Methodistengemeinde Neerstedt erschwinglich und robust war, hatte man sich entschlossen, den Gemeindegesang mit einem Harmonium zu unterstützen.
Seit vielen Jahrzehnten steht in der Kappen ein altes ein altes Mannborg und tut bis heute treu seinen Dienst. Als ich das erste Mal darauf spielte, stellte ich fest: es war zwar noch nicht altersschwach, aber es hatte Macken. Einige Register funktionierten nicht mehr, und mancher Ton hatte seine Tätigkeit eingestellt. Aber wenn man die richtigen Register zog, klang es trotzdem noch ganz passabel, vorausgesetzt, der jeweilige „Organist“ war nicht zu indisponiert. Viele alte Harmoniums leiden unter Asthma, weil der Blasebalg im Laufe der Zeit löchrig wurde. Bei diesem Harmonium war das nicht der Fall, denn der Blasebalg wurde schon früh durch einen Elektromotor ersetzt. Die meisten Harmoniums dieser Altersklasse haben aber oft ein sehr reichhaltiges Innenleben: In ihnen geht der Holzwurm einer intensiven und meist erfolgreichen Tätigkeit nach und zerlegt das Instrument in feinstes Mehl. Im Neerstedter Harmonium hatten solche Untermieter kein Betätigungsfeld gefunden. Ob es an der Holzqualität lag, ob die Würmer von einem Arbeitseinsatz an diesem sakralen Instrument aus Gründen der Pietät absahen oder meinten, bei den Methodisten sei eh nichts zu holen, ließ sich leider nicht ermitteln.
 
Vermutlich hätte das Harmonium seinen Dienst ohne Murren bis auf den heutigen Tag fortgesetzt, hätte ich nicht am 21. Januar 2008 mein Debüt als sogenannter „Organist“ gegeben. Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass Harmoniums und ich gut harmonieren. Meine arthrosegeplagten Finger brachten, so gut sie es konnten, das Instrument in größter Lautstärke zum Erklingen. Die Gemeinde hat sogar mitgesungen.


Harald Robbe - begeisterter Harmoniumspieler und Geschichtenerzähler 
Harald Robbe - begeisterter Harmoniumspieler und Geschichtenerzähler
Foto 28. Juni 2008


Aber im nächsten Gottesdienst erlebte die Gemeinde eine böse Überraschung. Im 149. Jahr des Bestehens der Kapelle stellte das Harmonium urplötzlich und unerwartet seine segensreiche Kooperation mit der Gemeinde ein und streikte. 10 Tasten, davon mehrere im Hauptspielbereich, hingen lustlos und depressiv auf Halbmast herunter und gaben keinen Ton mehr von sich. Hatte das Harmonium meine Spielkunst vom vergangenen Sonntag übel genommen? Ich war an diesem Sonntag nicht zugegen, aber es wurde mir berichtet, dass das Harmonium trotzdem benutzt wurde. Wie die diensthabende Organistin es geschafft hat, den Gemeindegesang unter Umgehung der fehlenden Töne zu begleiten, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.

Iris Ben Ammou. Organistin in Delmenhorst und Harmoniumspielerin in Neerstedt
Iris Ben Ammou. Organistin in Delmenhorst und Harmoniumspielerin in Neerstedt
Foto 30. Novenber 2008

In der Gemeinde war wohl bekannt, dass ich schon mehrere Harmoniums auseinander- und einige davon auch erfolgreich wieder zusammengebaut hatte. Deshalb musste ich ran. Ich hatte auch eine Idee, an welcher Stelle der Fehler im Instrument zu suchen sei. Aber als ich die ersten 30 Schrauben gelöst hatte und zur Quelle der vermeintlichen Störung vordrang, musste ich deprimiert feststellen, dort war alles in bester Ordnung. Ich schlich um das Harmonium herum und leuchtete auf der Rückseite mit einer Taschenlampe tief in das Innere. Da wurde ich stutzig. Nachdem ich 3-4-mal gestutzt hatte, erkannte ich, dass da irgendetwas fehlte. Es gibt unter jeder Taste einen 5mm dicken und 15 cm langen Rundstab, der bei Tastendruck das Ventil zur entsprechenden Harmoniumzunge öffnet und dadurch die Luftzufuhr ermöglicht. Da hatten sich einige Stangen in Luft ausgelöst, just die, die zu den hängenden Tasten gehörten. Wie war solches möglich? Auch ein Holzwurm zu Dinosaurierzeiten wäre nicht in der Lage gewesen, solch gründliche Arbeit zu leisten. 
 
Ich musste die gesamte Tastatur und die Registerzüge abbauen. Und hier offenbarte sich mir alles. Eine Mausfamilie hatte sich ein gemütliches Heim gebaut, um das sie alle Artgenossen mit Sicherheit heftig beneidet hätten. Die Nager hatten sich ein farbenprächtiges Nest in den Farben Helgolands, weiß, rot und grün. aus den Filzbelägen, die im Inneren des Harmoniums reichlich zur Verfügung standen, zusammengebaut. Dass hier ein reiches und fruchtbares Familienleben im Harmonium einer Methodistengemeinde stattgefunden hat, dafür gab es unwiderlegbare Indizien. Ein mumifiziertes Mäusebaby lag abseits.

Die zernagten Stäbe und das Mäusenest aus Filzbelägen
Die zernagten Stäbe und das Mäusenest aus Filzbelägen
 
Jetzt gab es auch eine Erklärung dafür, warum das Piccolo-Register immer so schepperig klang. Wegen ihres feinen Geruchvermögens hatten die Mäuse ihre Notdurft in abgelegeneren Regionen verrichtet. Das „kleine Geschäft“ wurde vermutlich wegen hartnäckiger Geruchsbelästigung weit abseits im besagten Piccolo-Register erledigt. Der beißende Urin hatte die zarten Zungen dieses Registers stark in Mitleidenschaft gezogen und mit einer bleibenden Spezialpatina versehen. Daher der eigenartige Klang. Das große Geschäft dagegen wurde in den Registern „Waldflöte“ und „Schalmei“ erledigt, was auf Grund der den Mäuseködeln eigenen Konsistenz dazu führte, dass einige Harmoniumzungen total verstopft waren und diese somit zum Verstummen brachten.
 
Dass Mäuse zur Familie der Nager zählen, konnte spätestens hier nicht mehr angezweifelt werden. Die besagten Rundstäbe waren weggenagt worden und das Sägemehl weiträumig verteilt, was zu weiteren Störungen führte. Andere Rundstäbe waren schon angenagt und hätten sicherlich bald weitere Harmoniumzungen zum Verstummen gebracht. Auch ein flehentlicher Gemeindegesang aus unserem Gesangbuch unter der Nr. 12 „O, dass ich tausend Zungen hätte...“ wäre kein Mittel zur Abhilfe gewesen.
 
Mich interessierte nun, zu welcher Spezies unsere Maus gehörte. Deshalb habe ich das mumifizierte Mäusebaby zur Untersuchung zur Pathologie eingeschickt. Die Antwort enthielt für Neerstedter Bürger sicherlich einen interessanten Aspekt: Es wäre zu untersuchen, ob die Lateinische Sprache nicht ihren Ursprung im Neerstedter Platt hat. Im Neerstedter Platt heißt die Maus „Mus“. Im Lateinischen genauso. Bei der untersuchten Mausspezies handelt es sich laut Untersuchungsergebnis um die seltene Art der Mus ecclesia methodistica“.
 
Mich machte das Geschehen sehr nachdenklich. Jahrzehntelang hatte das Harmonium seinen Dienst getan, ohne dass die darin wohnenden Mäuse rebellierten. Bis zu meinem Auftritt ging alles gut. War meine Spielkunst für die Untermieter so entnervend, dass sie vor Verzweiflung nach einem Beißholz suchten und sich an den Rundstäben abreagierten?
 
Als ich den gesamten Schaden begutachtete und meine Reparaturfähigkeiten nüchtern einschätzte, sah ich das Ende dieses Harmoniums. Ich sah mich schon als Leichfledderer, der dieses Harmonium nur noch ausschlachten würde. Aber für Harmoniums gab es noch keine Abwrackprämie. Erst die Androhung des Gemeindepastors (er gehört einer jüngeren Generation als ich an), unsere 150-jährige Kapelle mit einem seelenlosen E-Piano auszustatten, weckte in mir und anderen Gemeindegliedern ungeahnte kreative Kräfte. Zwei handwerklich hochbegabte Glieder unserer Gemeinde bastelten aus frischem Buchenholz aus dem Hause „Obi“ die notwendigen Ersatzteile. Was fehlte, wurde ersetzt, Angenagtes ausgewechselt. Alle Zungen wurden gründlichst gereinigt, soweit es möglich war.
 
Dann wurde alles wieder zusammengeschraubt, und ich freute mich, dass nur ein einzige, wahrscheinlich unwesentliche, Schraube übrig blieb. Ohne mich und die Helfer zu beweihräuchern, ich hatte den Eindruck, dass das Harmonium schon lange nicht mehr so gut geklungen hatte.
 
Um weitere Untermieter von dem Instrument fernzuhalten, stellte die Gemeindevertreterin eine schmackhaft ausgestattete Mausefalle unter dem Abendmahlstisch in unmittelbarer Nähe zum Harmonium auf. Als Köder diente ein richtig fetter Klops aus Leberwurst. Der hätte ausgereicht, um einen großen Mäuseclan über einen langen Zeitraum fett- und vitaminreich zu ernähren. 


So einfach bekommt ihr mich nicht!
So einfach bekommt ihr mich nicht!

Am folgenden Sonntag fand wieder ein Gottesdienst statt, diesmal mit anschließendem Abendmahl. In der Methodistenkirche wird traditionell niemand vom Abendmahl ausgeschlossen. Wirklich niemand? Als unser Pastor deshalb die Formel sprach „Alle sind zum Abendmahl eingeladen...“, fiel mein Blick unter den Abendmahlstisch. Die Mausefalle war verschwunden.
 
Am folgenden Wochenende war Karfreitag. Zu diesem Gottesdienst war ich wieder als Harmoniumspieler eingeteilt. Unser Pastor hatte eine Liturgie gewählt, die an mich und das Harmonium große Ansprüche stellte. Deshalb habe ich vorher auf dem Harmonium noch einmal kräftig geübt. Heute weiß man, dass dies dem Harmonium nicht gut bekommen ist. Als ich am Karfreitagmorgen die Klappe zum Harmonium öffnete, traf mich der Schlag. Circa 15 Tasten hingen wieder unten. Die Bestätigung einiger Gemeindeglieder, sie hätten hier vor ein paar Tagen eine Maus in der Kapelle gesehen, war mir keine Hilfe.
 
Da bei unserer Reparatur offensichtlich nur Symptome und nicht die Ursache behandelt wurden, musste ich noch einmal ran. Zur Verstärkung bat ich Gerold mitzukommen. Wir schraubten alles wieder auseinander. Diesmal wollte ich den Spieltisch komplett ausbauen und in meiner Werkstatt zuhause gründlich reinigen und sanieren. Als irgendwo etwas hakte, nahm Gerold einen Hammer in die Hand. Da hörte ich plötzlich aus seinem Mund die Worte: „Da ist ja eine lebendige Maus drin!“ Ich dachte erst, der leidet unter Halluzinationen. Aber plötzlich öffnet sich vor meinen Augen die Klappe zum Viola-Register und ein Mäusegesicht lugte vorsichtig hervor. Meinem Sternbild zufolge bin ich Jungfrau, und so ist es erklärlich, dass ich mich so verhielt, wie man es manchen Frauen nachsagt. Sie mögen keine Mäuse anfassen. Aber ich hatte zum Schraubensammeln gerade eine Plastikdose in der Hand und wollte diese über die Maus stülpen. Doch sie entwischte auf die andere Seite zu Gerold. Dieser hob zu meinem Entsetzen den Hammer, um zuzuschlagen. Aber dann zögerte er. War ihm urplötzlich bewusst geworden, dass er im Angesicht des Altarkreuzes stand und er sich deshalb an das 5. Gebot erinnerte „Du sollst nicht töten!“? Ich weiß es nicht. Aber ich war unendlich dankbar, dass er auf den Totschlag verzichtete. Denn Gerold ist kurzsichtig, und er hatte gerade keine Brille auf. Was hätte er unter Umständen alles zerdeppert?
 
Die Maus war jetzt irgendwo im Harmonium, aber wo? Plötzlich schoß eine fette, offenbar trächtige Maus unterhalb des Blasebalgs wie aus dem Instrument und jagte wie ein Kugelblitz hinter dem Altar um die Ecke in Richtung Ausgang. Immer an der Wand entlang. Ich sah noch, welches Ziel die Maus anvisierte.


"Matz" die Maus im Gespräch mit Bauer Klaus aus Neerstedt im Marionetten-Gottesdienst "Kirchenmaus packt aus" am 29.06.2008
"Matz" die Maus im Gespräch mit Bauer Klaus aus Neerstedt im Marionetten-Gottesdienst "Kirchenmaus packt aus" am 29.06.2008

Einen Meter vor dem Ausgang sprang sie auf ein Heizungsrohr und von dort 20 cm hoch in eine halb geöffnete Verteilerdose. Ich sah gerade noch, wie der Schwanz zwischen den Elektrodrähten verschwand. Tempo und Sprunggewalt der Maus waren absolut olympiareif. Die Verteilerdose habe ich zugeklebt und damit einer treuen methodistischen Kirchenmaus die Heimat genommen und sie der schnöden Welt ausgesetzt. An dieser Schuld mangelnder Nächstenliebe trage ich schwer. Aber zu ihrem Gedenken haben wir oben auf dem Harmonium eine kleine Maus angebracht.
 
In meiner Werkstatt habe ich mir den Schaden angesehen. Er war größer als 3 Wochen zuvor. Offenbar waren Vorbereitungen für ein Mäusewochenbett getroffen worden. Die Untermieter hatten sich wieder ein behagliches neues Nest aus Filz gebaut. Zusätzlich waren beträchtliche Lebensmittelvorräte angelegt worden. Angebissene und halb geöffnete Haselnüsse und Eicheln lagen im Inneren verstreut herum. Aber besonderen Geschmack muss die Maus an den neuen frischen Rundstäben gefunden haben. Alle waren ausnahmslos halbiert oder angenagt. Die alten dagegen blieben unberührt. Die Leberwurst der Mausefalle ist in die Verwesung übergegangen. Nach dem Zusammenbau habe ich das Harmonium so abgedichtet, dass kein Nager mehr Eingang finden konnte. Trotzdem habe ich lange Zeit danach immer, wenn ich „Orgeldienst“ hatte, mein Reiseharmonium für etwaige Notfälle mitgenommen. Sicher ist sicher. Nichts ist seitdem passiert. Seit einigen Monaten verzichte ich auf die Mitnahme des Ersatzinstrumentes.
 
Das Reiseharmonium im gottesdienstlichen Einsatz am 29.06.2008
Das Reiseharmonium im gottesdienstlichen Einsatz am 29.06.2008 
 
Übrigens, während ich diese Geschichte aufschreibe, werde ich doch wieder unruhig. Mir kommt gerade erstmalig der Gedanke, dass unsere Kirchenmaus kein Single gewesen sein muss. Ich glaube, ich nehme doch lieber wieder mein Reiseharmonium mit.


Text: Harald Robbe
Fotos: Hartmut Hedemann
 
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Info  
  Seit 1947 bilden die Gemeinden Delmenhorst und Neerstedt einen Bezirk.